Textanmerkungen
Die Texte sind entweder aus den 30iger und vierziger Jahren; oder erst im Nachhinein geschrieben und stammen dann aus den fünfziger oder auch sechziger Jahren. Trotz der für uns heute teilweise ungewohnten Ausdrucksweise vermitteln die Texte auch etwas von der Stimmung, dem Zeitkolorit und der Sichtweise auf die Nehrung und ihre Bewohner. Gerade die Stellen, in denen die Einheimischen beschrieben werden, sind allerdings heute befremdlich, da sie fast wie seltsame, fremde Ureinwohner erscheinen, die nur mystisch zu erfassen sind. "Die Fischerfrauen, ja schon ihre Kinder tragen etwas Unergründliches im Blick - als wüssten sie von Dingen, die uns verborgen sind." ein Beispiel aus dem Text von M. Kakies.
Man kann den Texten, wie der gesamten "Erinnerungsliteratur"
ein gehöriges Maß an Romantisierung nicht absprechen. Was dies
im Kontext von kollektiver Erinnerung bedeutet, ob es sich etwa um eine Art
Ritualisierung handelt, ein emotionalisiertes Beschwören der guten alten
Zeit, das von eher profanen und unangenehmen Details oder Hintergründen
absieht, ist eine interessante Frage. Z.B. sind
die Segelkähne der Nehrung und des Haffs, die das schöne Bild entscheidend
mitprägen, eine in den dreißiger und vierziger Jahren schon antiquierte
Erscheinung, da die Fischereibehörde die Motorisierung der Hafffischerei
zum Schutz des Fischbestandes verboten hat. Auch das Verbot von Autoverkehr
auf der Nehrung trug zum Bild einer intakten Naturlandschaft mit Bewohnern
bei, die sich über die Zeit hinweggerettet hat.
Nichtsdestotrotz war in den 30igern und vierziger
Jahren das Leben auf dem Land noch so archaisch, dass es für uns heute
eine Schwierigkeit darstellt, sich davon ein Bild zu machen.
Die Tendenz gerade der Heimatvereinigungen und Vertriebenenverbände, Ostpreussen und die Kurische Nehrung in einer kontinuierlichen, von "früher" bis zum Ende des zweiten Weltkrieges reichenden Zeitspanne, als die "gute, alte, schöne Heimat" darzustellen, ist höchst problematisch und tendenziös. Ein emotionalisiertes Bild wird nicht nur sprachlich beschworen, sondern auch bebildert, sofern es von dieser Zeit schon Fotos gibt. Durch eine gezielte Auswahl; durch das, was nicht erzählt wird oder nicht gezeigt wird, ist dieses Bild gestaltet, d.h. auch immer manipuliert. Das liegt in der Natur der subjektiven Darstellung, ist im Prinzip nicht änderbar, sollte aber reflektiert werden. In unserem Fall wird die Sache dadurch schwieriger, dass man sich kein eigenes richtiges Bild mehr machen kann, weil die Welt um die es geht, praktisch in der Vergangenheit versunken ist. Letztendlich gibt es kein "richtiges" Bild, sondern immer nur Reflexionen.
Ein Thema, das durchgängig vermieden wird, in Büchern, Internetseiten, Fotobänden, und Heimatzeitungen, ist Ostpreussen in der NS-Zeit. Es gibt z.B. Fotos von allen erdenklichen Tätigkeiten des Alltags, aber keine von Dörfern im Hakenkreuz-"Schmuck". Der Nationalsozialismus wird in Fotobänden oft überhaupt nicht erwähnt. Es gibt zwar wieder Fotos der zerstörten und zerbombten Städte und von Flüchtlingstrecks, Flüchtenden und auch Toten, aber die gewollte Erinnerung scheint oftmals ziemlich selektiv zu sein.